Aus der kalten steinigen Grotte in der Altstadt von Jerusalem, in der wir mehrere Nächte in Stockbetten zugebracht hatten, laut lonely planet wird es Hebron Hostel genannt, flohen wir am 23. März 2009. Der Geschäftsführer dieses Gemäuers, namens Sahid, ist der wohl kettenrauchenste Mensch der gesamten arabischen Halbinsel. Was ein wahrer Superlativ ist, da hier unter den Männern das Zigarettenraucheinatmen öfter pro Minute passiert als das Luftholen. Dieser Mann des Nikotins machte einmal zwischen zwei Zügen, ohne den Qualm dabei wieder auszustoßen, eine sehr optimistische und hoffentlich bald richtige Prophezeiung. „In the year 2010 we can go by train from Jerusalem to Istanbul, without any borders to cross“, sagte er salbungsvoll. Natürlich folgte dem Satz noch ein lang gezogenes “insch´allah”. Derzeit allerdings undenkbar, es liegen noch immer zwei mit Israel verfeindete Staaten, Libanon und Syrien, dazwischen, die ihre Grenzen zum so genannten Gelobten Land hermetisch abgeriegelt haben und für Menschen mit israelischem Pass nicht zu bereisen sind. Noch dazu ist er Palästinenser, der seine Reisetätigkeiten mit den israelschen Sicherheitsbehörden abzustimmen hat. Aber optimistisch ist er, der Sahid aus dem Hebron Hostel und ich werde 2010 auf ihn am Vorplatz des Hauptbahnhofs in Istanbul warten.
Derweilen herrschte in den Kalkstein gepflasterten Straßen von Jerusalem aber noch ein anderes Bild der Welt. Vor dem Österreicher Hospiz in der Via Dolorosa wurden von grimmig dreinschauenden Militärs die schäbigen Kartons mit Marienanhängern unter wüsten Beschimpfungen weggetreten und der am Boden sitzende Verkäufer mit drohenden Handbewegungen verscheucht. Am Damaskustor im arabischen Viertel patrouillierten junge SoldatInnen mit umgehängtem Gewehr und Schlagstock im Gürtel. Dem Alter entsprechend standen sie dort vergnügt tuschelnd und kichernd, eine kurzes verliebtes Händchenhalten und schon eine Zurechtweisung des Vorgesetzten. Das Soldatenmädchen stand wieder stramm und hielt statt der warmen Hand ihres Schwarms das Gewehr schussbereit und inspizierte grimmig dreinblickend die vorbeiziehenden Händler. Am Tempelberg tummelten sich nur Moslems, keine Juden und an der darunter liegenden Klagemauer schauten die Menschen jüdischen Glaubens verschreckt um sich, ob nicht doch ein Selbstmordattentäter die unzähligen Sicherheitschecks durchdrungen haben koennte. Ein Bettler meinte nach meiner Gabe von ein paar Schekeln „May god kill your enemies!“.
Es ist mir schon klar, dass nicht nur der unterschiedlich ausgelegte Glaube an den einen Gott die Menschen entzweit, aber sinnlos ist es allemal. So sprang mir auch ein Vierzeiler des persischen Gelehrten und Dichters aus dem 11. Jahrhundert, Omar Khajjam (oder Chayyam) ins Auge, über den ich gerade lese:
Wenn in deines Herzen Tiefen nur die Saat der Liebe sprießt,
Gleich ist´s, ob du in Moscheen oder Götzentempel kniest.
Hast du in das Buch der Liebe deinen Namen eingeschrieben,
Nicht mehr denkst du dann an Strafe oder an Belohnung drüben.
Ja, halt ja. So wurde es Zeit, um die Prophezeiung des rauchenden Sahids wenigstens für uns wahr zu machen. Es ist zwar nicht möglich die ganze Strecke von Jerusalem nach Istanbul mit der Eisenbahn zurückzulegen, aber warum nicht mit Autos und Bussen.
Am späten Vormittag mit Falafel gefüllten Bäuchen bestiegen wir den Minibus Richtung King Hussein Bridge (Name in Jordanien) bzw. Allenby-Bridge (Name in Israel) und fuhren durch die von Israel besetzten Gebiete gegen Osten. Wie bei der Einreise, wechselte der Minibus-Fahrer kurz vor der Grenze und der zweite brachte uns zur Grenzkontrollstation. Dort wurde die Ausreisetaxe entrichtet und nur die Einreisekarte eingezogen, nicht der Pass bestempelt. Umgesteigen in einen neuen Bus, der uns bis zur jordanischen Grenzstation brachte. Von dort weiter mit einem Minibus in die jordanische Hauptstadt Amman. Es wurde nicht lange herumgefackelt und ein Taxi mit zwei anderen Jordaniern direkt nach Damaskus, Syrien gemietet.
Unsere Aufregung stieg ein wenig, da es sich nun entscheiden würde, ob uns von syrischer Seite die Einreise in ihr Land gestattet wird oder wir unverrichteter Dinge von dannen ziehen muessen. Sehr oft hört und liest man, dass, wenn man in Israel war, keine Möglichkeit besteht nach Libanon, Sudan und Syrien zu fahren (siehe dazu auch diesen Blog-Artikel). Das Gepäck wird durchsucht und sobald irgendwelche Artikel mit hebräischen Buchstaben aufgedruckt gefunden werden, ist die Einreise ein unmögliches Unterfangen, meinten einige. So weit wollten wir uns nicht närrisch machen und harrten der Dinge, die da kommen mögen. Was kam war nicht viel. Wie immer dieselben Einreiseformalitäten. Pass herzeigen, Visaantrag stellen, Gebühr entrichten und Pass wieder an uns nehmen. Wir wurden nicht einmal gefragt, ob wir jemals in Israel waren, noch wurden unsere Paesse auf explizite Stempel durchsucht. Es wurde einzig und allein die Frage nach unserem Heimatland gestellt. Nach einem kurzem „nemsa – austria“ war alles gesagt. Wie immer in der arabischen Welt ist nemsa = good und wir fuhren mit unserem Taxler über die Grenze in ein neues Land auf unserer Reisroute.
Seltsam war nur unser Taxifahrer, der, während wir mit den Zollbehörden beschäftigt waren, seinen eigenen Geschäften nachging. Welche diese waren, erfuhren wir knapp nach der Grenze in Syrien. Mit voll aufgedrehtem Autoradio, die hier überall noch mit Audio-Kassetten bespielt werden, hielt er am Pannenstreifen bei zwei geparkten Autos an. Die vier dort wartenden Typen klaubten dann aus jedem erdenklichen Hohlraum des Kofferraums geschmuggelte Zigarettenstangen heraus. Ziemlich zufrieden grinsend holten sie dann wohl um die sechs Plastiksackerln voll mit Tschickstangen heraus. Mit lautem Knall wurde der Kofferraumdeckel des Taxis zugeschmissen, das Schmuggelgut wechselte das Auto und wir unseren Fahrer. Der schob gleich eine neue Audiokassette ins Deck, die wohl unerträglichste „Musik“ dieser Fahrt, steckte sich eine Zigarette an und raste mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Damaskus.
Hier sind wir nun und freuen uns auf ein neues Land im Nahen Osten.
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Noch ein paar Bilder zu Jerusalem: